Programme

Spätlese
Ludwig van Beethoven
Sonate in E-Dur op. 109
- Vivace ma non troppo
- Prestissimo
- Andante. Molto cantabile ed espressivo. Gesangvoll mit innigster Empfindung
Frédéric Chopin
Scherzo op. 54 in E-Dur
Robert Schumann
Geistervariationen
- Pause -
Franz Schubert
Sonate in B-Dur D 960
- Molto moderato
- Andante sostenuto
- Scherzo: Allegro vivace con delicatezza
- Allegro ma non troppo
Samt und sonders Spätwerke! Landschaften im Herbst des Lebens, Musik aus den letzten Jahren ihrer Schöpfer.
Eine solche Ankündigung kann natürlich Bauchschmerzen auslösen angesichts aller vermuteten Schwere und Ernsthaftigkeit. Doch lade ich Sie ein, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen: die Musik dieses Programmes kennt das Geheimnis der Schwerelosigkeit.
Dabei geht es gleich mit einem Brocken los: in der Sonate op. 109 von Beethoven wird die Musik zum Seismographen für die Ein- und Ausbrüche eines Menschen, dessen fast gänzliche Taubheit ihm das reale Hören seiner Kunst verhindert. Fast wie Skizzen wirken dabei die ersten beiden Sätze gegenüber dem großen letzten Satz, dessen Choral zum Versöhnlichsten gehört, was ich an Musik kenne.
In die Stille zurück geführt wird die Bühne frei für Chopins letztes Scherzo. Die Musik gefällt sich im Indirekten, bevorzugter Aggregatzustand: gasförmig. Kurzzeitig auftretende Wolken werden baldigst vertrieben - kehren aber wieder, wenn in der Mitte des Werkes der Mond zu scheinen beginnt. Hier zielt die Musik in aller Klarheit mitten ins Herz.
Und damit ist das Stichwort gegeben für Robert Schumanns letzte Komposition: Variationen über ein eigenes Thema - oder über ein Thema, das ihm im Traum von Engeln eingesungen wurde, kurz: die 'Geistervariationen'. Dass er selbst während des Komponierens bereits von Dämonen heimgesucht wird, belegt dramatisch sein nächtlich-verzweifelter Sprung in den Rhein. Danach erst schreibt er die letzte Variation - Musik im Zustand der Auflösung.
Es folgt der Aufbruch zu einer letzten Wanderung - auf Zehenspitzen. Franz Schuberts letzte Sonate entsteht wenige Monate vor seinem frühen Tod im Spätherbst 1828. Im Gegensatz zu einem viel zu kurzen Leben hat diese Musik alle Zeit der Welt. Bereits der erste Satz hat 'himmlische Längen', umso mehr als ich die Wiederholung der Exposition spiele. Warum? Weil wir durch einen Triller, der nur hier im tiefsten Register des Klaviers und in voller Kraft ertönt, um den Abgrund wissen, über dem sich alle wundersame Melodik, alles Singen entfaltet. Ein Abgrund, der im zweiten Satz zu bodenloser Einsamkeit wird, Musik unter zugefrorener Wasseroberfläche.
Dann herrscht Tauwetter: das federleichte Scherzo fliegt vorüber mit kurzem, spukigem Trio. Bewegung kommt ins Geschehen und führt in ein Finale voller Vieldeutigkeit. Zumindest in meinen Ohren wird hier Theater gespielt! Immer wieder lässt ein Horn als Signal ein G erklingen, immer wieder klopft daraufhin jemand an - bis zuletzt das Signal in Halbtonschritten abzusinken beginnt, die Musik anfängt zu gähnen und Schubert beschließt, uns nach fast dreiviertelstündiger Wanderung in zwanzig Sekunden Presto-Coda die Tür zu zeigen.